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Begrüßung 6. Netzwerktagung „Kriminologie in NRW“
Von der Viktimisierung zur eigenen Delinquenz – Die Rolle elterlicher Belastungsfaktoren in der Entstehung jugendlicher Straffälligkeit
Elterliche Gewalt, in der Kinder Opfer ihrer primären Vertrauenspersonen werden. Partnerschaftliche Gewalt, in der Kinder zu Zeug*innen werden. Kinder, die durch Inhaftierung eines Elternteils stigmatisiert und vernachlässigt werden. All das sind zentrale Prädiktoren für die Entwicklung jugendlicher Delinquenz.
Kinder, die solchen Belastungen ausgesetzt sind, erleben nicht nur emotionale und soziale Instabilität, sondern internalisieren häufiger dysfunktionale Bewältigungsstrategien, die den Weg in die eigene Straffälligkeit ebnen.
Der Mangel an wirksamen protektiven Faktoren innerhalb des sozialen Sicherungssystems perpetuiert diesen Kreislauf und drängt von der Opfer- in die Täterposition, oft ohne eine reale Chance aus der devianzfördernden Umwelt.
Dieser Vortrag untersucht, wie elterliche Belastungen die Sozialisation prägen und welche langfristigen Auswirkungen sie haben. Neben einer Analyse aktueller Strukturen werden psychologische und soziologische Dimensionen einbezogen, um die Dynamik der Opfer-Täter-Transformation ganzheitlich zu verstehen. Anhand empirischer Forschung wird analysiert, warum bestehende Präventionsmaßnahmen oft zu spät greifen und strukturelle Defizite in Jugendhilfe und Justiz den Kreislauf zwischen Viktimisierung und eigener Delinquenz nicht durchbrechen können. Ziel ist es, die elterliche Rolle als zentrale Determinante in der Jugendkriminalität herauszuarbeiten, bestehende Schutzmechanismen kritisch zu hinterfragen und das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass diese Kinder nicht nur Verantwortung tragen, sondern vor allem Opfer eines Systems sind, das sie unzureichend schützt.
Das elterliche Verhalten im Kontext der Familie ist in vielerlei Hinsicht prägend für die Verhaltensweisen von Kindern. Übt ein Elternteil (Generation 1, G1) Gewalt gegenüber seinem Kind (Generation 2, G2) aus, so kann dies in Kombination mit potenziellen weiteren Umwelteinflüssen dazu führen, dass viktimisierte Eltern (G2) sich wiederum ihren Kindern (Generation 3, G3) gegenüber gewaltsam verhalten, wodurch eine Transmission gewaltsamer Verhaltensweisen stattfindet. Die Transmissionsprozesse elterlicher Gewalt werden im Rahmen der Familienbefragung „Herausforderungen in jungen Familien“ (HejFam) untersucht. In der Studie werden G2-Elternteile aus der ursprünglichen CrimoC-Panelstudie befragt, wobei neben Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmalen der G2-Elternteile auch das von ihnen ausgeübte Verhalten im Erziehungskontext sowie das Sozialverhalten und Verhaltensauffälligkeiten der G3-Kinder erfasst werden.
Bei der Unterscheidung zwischen den G3-Kindern von Gewalt ausübenden und keine Gewalt ausübenden G2-Elternteilen (n = 480) zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den G3-Kindern. Erste Ergebnisse aus der ersten kriminologischen Befragung im Rahmen des Hejfam-Projekts deuten darauf hin, dass gewaltsam erzogene G3-Kinder (n = 156) sich häufiger aggressiv und gewaltvoll verhalten als nicht gewaltsam erzogene G3-Kinder (n = 320). Zum einen äußern sie dieses gewaltsame Verhalten gegenüber ihren G2-Elternteilen, es zeigt sich zum anderen aber auch in erhöhten Verhaltensproblemen mit Gleichaltrigen. Zusätzlich verdeutlichen die Ergebnisse der ersten Familienbefragung, dass sie eine Bandbreite aggressiven Verhaltens an den Tag legen. Gewaltsam erzogene G3-Kinder verhalten sich sowohl proaktiv und reaktiv aggressiver als nicht gewaltsam erzogene G3-Kinder, sie äußern indirekte Aggression, physisch aggressives sowie nicht-aggressives, sozial auffälliges Verhalten, und zeigen häufiger Anzeichen von Psychopathie.
Die Analyse von Transmissionsprozessen von Gewalt steht im Mittelpunkt des seit dem Jahr 2022 durch die DFG-geförderten Projekts „The intergenerational transmission of violence: a combined prospective criminological and neurobiological investigation“. Das Projekt, das unter dem Studiennamen „Herausforderungen in jungen Familien“ (HejFam) bekannt ist, gliedert sich in zwei Arbeitsprogramme: soziologisch, kriminologische Befragungen und einer neurowissenschaftlichen Untersuchung von Eltern-Kind Dyaden durch die RWTH Aachen.
Der Vortrag soll einen Überblick über den Projektverlauf, spezielle durch das komplexe Forschungsdesign entstandene Herausforderungen und gefundene Lösungen geben. Ausgangspunkt des Projektes waren Teilnehmende der prospektiven Längsschnittstudie „Kriminalität in der modernen Stadt“ (CrimoC), die bis zum Jahr 2019 berichtet haben, dass sie eine eigene Familie gegründet haben. Aufgrund des anonymen Befragungsdesigns von CrimoC war diese Anzahl bekannt. Unbekannt war jedoch, welche Personen sich konkret hinter den empirischen Angaben befanden. Neben der dadurch notwendigen Rekrutierung und der neurobiologischen Untersuchung einer Teilstichprobe in Aachen, fanden inzwischen zwei postalische Befragungen aller rekrutierten Elternteile statt, deren Verlauf und Erfolg berichtet und eingeordnet werden soll.
Die Elternteile wurden in vier Gruppen klassifiziert: Maintainer: CrimoC-Teilnehmende, die als Generation 2 (G2) bezeichnet werden, welche Gewalt durch ihre Eltern (G1) erfahren haben und ihrerseits Gewalt gegenüber ihren Kindern (G3) ausüben; Cycle Breaker: G2 erlebte Gewalt durch G1, übt jedoch keine Gewalt gegenüber G3 aus; Initiator: G2 erlebte keine Gewalt durch G1, übt jedoch selbst Gewalt gegenüber G3 aus; Non-Violent: G2 erlebte keine Gewalt durch G1 und übt selbst keine Gewalt gegenüber G3 aus. Diese Kategorien werden neben der jeweiligen G2-Anzahl zudem hinsichtlich ihrer zeitlichen Stabilität diskutiert.
Risk perception is a key variable in the decision-making process for deviant and criminal behavior. How risk perceptions are updated over time is not well understood. While studies have mainly examined the effect of neutralization tendencies on behavioral outcomes, their role in direct or differential updating processes of risk perceptions is underexplored. Neutralization tendencies may provide individuals with justifications and rationalizations for engaging in risky behavior by downplaying the risks involved. This study examines how neutralization and other factors affect risk perceptions concerning the illicit use of prescription drugs. It examines the moderating role of neutralization tendencies alone and in conjunction with related personal morality in the updating process. Using data from a four-wave panel study, we apply fixed-effects models that rely on within-subject variation to examine changes in risk perceptions, namely the subjective perceptions of the probability and severity of side effects of using prescription drugs illicitly. Prior use of prescription drugs and neutralization tendencies lower risk perceptions, while beliefs that such drug use is morally unacceptable and learning about side effects either from others or from the media increase these risk perceptions. We also find evidence for differential updating. For example, individuals with neutralizations tendencies showed lower estimates of the risk perceptions when they had not witnessed reports about side effects in the media. When the number of such media reports increases, the estimates of neutralizers and non-neutralizers become similar. Thus, this study provides new theoretical reasoning and empirical evidence concerning differential updating.
The causal relationship between strain (i.e., perceived stress) and substance misuse as a form of criminal coping is well-established. However, research on the contextual factors conditioning this link has yielded mixed results. Theoretical frameworks such as General Strain Theory, Social Learning Theory, and the Stress-Buffering Hypothesis often portray the social environment as either a positive or negative influence, which neglects its possible dual role. Moreover, while the effect of descriptive norms is relatively frequently investigated, this is less the case for injunctive norms. Furthermore, research on substance misuse predominantly focuses on adolescents, students, or specific occupational subgroups. The general adult population and thus the test of the generalizability of certain mechanisms to this group receives much less attention.
Therefore, this study aims to test causal hypotheses concerning perceived stress's effect on the misuse of prescription stimulants for performance enhancement, that is, enhancing cognitive function such as concentration, memory, or executive functioning without medical necessity (so-called cognitive enhancement, CE). Thereby, it examines the dual role of the social environment as a moderating factor, i.e., whereby social support is hypothesized to buffer stress effects, while descriptive and injunctive norms are expected to amplify this effect. It plans to use panel data from the ENHANCE project, a representative sample of adults in Germany. By examining how stress affects substance misuse in adults and disentangling opposing effects of the social environment, this study adds to the analysis of how social contexts shape substance misuse in a rarely investigated population.
Die Weitergabe und der Verkauf von verschreibungspflichtigen Medikamenten durch nicht autorisierte Personen ist illegal. Jedoch erfolgt der Zugang zu solchen Medikamenten für nicht-medizinische Zwecke (z. B. Rauschzustände oder Leistungssteigerung) häufig über soziale Kontakte (z. B. Peers und Familienangehörige). Der Missbrauch von verschreibungspflichtigen Medikamenten für solche Zwecke wirft ethische Fragen auf ist und kann erhebliche gesundheitlichen Risiken bergen. Die steigende Anzahl von Verschreibungen verschiedener Medikamentenklassen geht so mit einer potentiellen Verfügbarkeit von Medikamenten einher, die auf eine vorhandene Nachfrage aufgrund von Trends wie Stress-Coping und Selbstoptimierung trifft. Eine Analyse bestehender Konditionalitäten einer unautorisierten Weitergabe und eines illegalen Verkaufs ist somit theoretisch und praktisch notwendig. Basierend auf der Social Exchange Theory und dem Social Embeddedness-Ansatz sollen verschiedene zugrundeliegende Mechanismen dieses bislang wenig untersuchten Phänomens analysiert werden: Art der Beziehung (Bekannter vs. einziger Cousin), Qualität der Beziehung, Opportunitätskosten der potentiell Medikamente-anbietenden Person sowie Reputation der nachfragenden Person. Dafür wurde eine szenario-basierte Vignettenstudie (2×2×2×2 between-subjects Design) in einem zufallsbasierten, offline-rekrutierten Sample Erwachsener in Deutschland (N=4.458) durchgeführt. Nach der Beschreibung einer experimentell manipulierten Alltagssituation wurden die Befragten hinsichtlich ihrer Weitergabebereitschaft, der Art der Weitergabe (unentgeltlich vs. Bezahlung) sowie im Falle einer finanziellen Transaktion nach dem verlangtem Pillenpreis gefragt. Die Auswertung der Daten läuft gegenwärtig. Wir erwarten von der Studie wichtige Einsichten hinsichtlich verschiedener Mechanismen der nicht-monetären und monetären Weitergabe verschreibungspflichtiger Medikamente, die einerseits theoretisch relevant sind als auch Hinweise für Prävention liefern können.
Mit 21 durch polizeilichen Schusswaffengebrauch getöteten Personen im Jahr 2024 wurde ein Höchststand erreicht, der bisher nur im Jahr 1983 verzeichnet wurde. Fälle wie der Tod von Mouhamed Dramé und dessen strafrechtliche Verhandlung lösten eine breite mediale Debatte aus.
Das Forschungsprojekt SAFE („Schusswaffengebrauch im Polizeidienst: Rechtliche Rahmenbedingungen, Eskalationsdynamiken und Präventionsansätze“) greift diese Entwicklungen auf und befasst sich mit den dahinterliegenden Fragestellungen aus rechtlicher und soziologischer Perspektive. Dabei werden neben den gesellschaftlich viel diskutierten Fällen des tödlichen polizeilichen Schusswaffengebrauchs auch solche Fälle untersucht, bei denen der polizeiliche Schusswaffengebrauch weniger gravierende oder keine Folgen für die körperliche Unversehrtheit hat.
Im Zentrum des Projekts steht eine Aktenanalyse, die ausgewählte Vorfälle detailliert untersucht. Dabei werden die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Dynamiken in den jeweiligen Einsatzsituationen und die rechtlichen Verfahrensabläufe beleuchtet. Ziel ist es, sowohl ein systematisches Verständnis der Hintergründe von Schusswaffeneinsätzen zu gewinnen als auch die rechtlichen Voraussetzungen und deren Anwendung in der Praxis zu untersuchen.
Im Vortrag werden die Zielsetzungen und ersten Arbeitsschritte des Projekts vorgestellt. Dabei liegt der Fokus auf der methodischen Herangehensweise der Aktenanalyse und deren Potenzial, fundierte Erkenntnisse über die Dynamiken und Entscheidungsprozesse bei Schusswaffeneinsätzen zu gewinnen.
Eine hohe Anzeigequote ist wichtig für zuverlässige Daten über die tatsächliche Kriminalitätsentwicklung und damit für eine wirksame Kriminalitätsprävention. In den letzten Jahren hat sich jedoch gezeigt, dass die Anzeigebereitschaft von Jugendlichen in Deutschland gesunken ist. Die vorliegende Studie untersucht die psychologischen Prozesse hinter der Anzeigebereitschaft von Jugendlichen, insbesondere das Zusammenspiel verschiedener Einflussfaktoren. In Anlehnung an das sozialpsychologische Entscheidungsmodell für Kriminalitätsopfer von Greenberg und Ruback (1992) wurde ein dreistufiger Rahmen mit verschiedenen Einflussfaktoren aufgestellt: (1) Identifikation der Tat als meldepflichtige Straftat, (2) subjektiv ausreichende Schwere der Straftat und (3) Anzeige bei der Polizei als gewählte Konfliktlösungsoption. Im Rahmen der Sekundäranalyse einer repräsentativen Schülerbefragung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen aus dem Jahr 2022 (N = 8.539) wurde die Relevanz verschiedener Faktoren und deren komplexe Wechselwirkungen untersucht. Mittels explorativer Tree-based Models wurde zuerst die Wichtigkeit einzelner Variablen im Rahmen des Anzeigeverhaltens untersucht. Dabei wurden die Bekanntheit der Täterinnen, Homoethnizität zwischen Opfer und Täterin, die subjektiv empfundene Schwere der Tat, das Ausmaß des körperlichen sowie finanziellen Schadens, das Delikt sowie das Vertrauen in die Polizei als relevante Variablen im Rahmen des Anzeigeverhaltens von Gewaltdelikten identifiziert. Um zusätzlich die Richtung der Effekte analysieren zu können, wurde mit diesen Variablen eine logistische Regressionsanalyse berechnet. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass bei bekannten Täter*innen mit gleicher Ethnizität wie das Opfer, sowie bei hohem objektiv entstandenen und subjektiv empfundenen Schaden, sowie bei Raubdelikten die Anzeigebereitschaft erhöht ist. Die Ergebnisse werden im Beitrag diskutiert.
§105 I JGG, welcher die strafrechtliche Behandlung von Heranwachsenden regelt, steht seit seiner Einführung regelmäßig im Fokus kriminalpolitischer sowie gesellschaftlicher Debatten. Die Anwendung der Norm in der gerichtlichen Praxis hat sich seit 1953 erheblich gewandelt, während der Wortlaut unverändert geblieben ist.
Besonders der weite Beurteilungsspielraum des Tatrichters bei der Frage der Anwendung von Jugendstrafrecht oder Erwachsenenstrafrecht auf Heranwachsende war in den vergangenen Jahrzehnten Gegenstand zahlreicher empirischer Untersuchungen. Im Mittelpunkt der Empirie steht ebenfalls die Problematik hinsichtlich der spezialpräventiven Wirksamkeit von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht bei Heranwachsenden sowie eine mögliche Schlechterstellung junger Straftäter gegenüber Erwachsenen, die bereits das 21. Lebensjahr vollendet haben.
Die Frage nach der strafrechtlich adäquaten Behandlung von Heranwachsenden ist nicht nur für die Rechtswissenschaft von Bedeutung, sondern auch ein zentraler Forschungsgegenstand in der Entwicklungspsychologie, Kriminologie und Jugendsoziologie.
Ziel dieses Vortrags ist es, die zentralen Ergebnisse vergangener empirischen Untersuchungen zur Heranwachsenden Regelung im Jugendstrafrecht zusammenzutragen. Daneben werden kurz die wesentlichen Erkenntnisse interdisziplinärer Wissenschaften präsentiert, um den Forschungsstand zu § 105 I JGG in Gänze abzubilden.
Der Vortrag widmet sich mithin, den fundierten Erkenntnissen interdisziplinärer Wissenschaften zu § 105 I JGG, den noch bestehenden empirischen Lücken und welche Faktoren bislang weitgehend unklar blieben.
Als Mitarbeiterinnen des Zentrums für polizeipsychologische Dienste und Services der Polizei Hessen möchten wir anhand eines anonymisierten Fallbeispiels aus der Praxis skizzieren, welche Möglichkeiten und Grenzen in der behördenübergreifenden Zusammenarbeit zur Prävention von Jugendkriminalität bestehen. Am Beispiel eines Amokverdachtsfalles werden die polizeipsychologische Perspektive sowie die Wichtigkeit des interdisziplinären Bedrohungsmanagement dargestellt und Grenzen der polizeilichen Handlungsspielräume beleuchtet. Anhand des Fallbeispiels wird darüber hinaus diskutiert, wie nah im Falle von Jugendkriminalität Täter- und Opferwerdung beieinander liegen und sich mitunter gegenseitig bedingen können.
Frau Nitsche (M.Sc. Psychologie) als Einsatzpsychologin und Frau Schlempp-Kasimir (B.A. Kriminalpolizei) als Polizeivollzugsbeamtin sind im Bereich der Verhaltensanalyse des Zentrums für polizeipsychologische Dienste und Services der Hessischen Polizei tätig.
Der Beitrag widmet sich der gegenwärtig medial intensiv diskutierten Thematik der Messerkriminalität unter Jugendlichen. Zunächst werden die unterschiedlichen Entwicklungen im Hell- und Dunkelfeld von messerbezogener Gewalt unter Jugendlichen in jüngster Zeit nachgezeichnet und mögliche Erklärungsansätze dafür aufgezeigt. Anschließend wird der Einfluss von religiöser Zugehörigkeit und Religiosität auf jugendliche Messerkriminalität in den Blick genommen. Dabei wird die Frage erörtert, ob Religion einen schützenden oder begünstigenden Faktor für messerbezogene Gewalt unter Jugendlichen darstellt. Es wird die Komplexität des Zusammenhangs zwischen Religion und Messerkriminalität unter Jugendlichen herausgestellt, wobei verdeutlicht wird, dass Präventionsmaßnahmen darauf abzielen müssen, der Entwicklung fundamentalistischer Einstellungen sowie der Erfahrung von Benachteiligung unter religiösen Jugendlichen entgegenzuwirken.
Fehlende empirische Grundlagen sind ein häufiger Kritikpunkt des Good Lives Model (GLM).1
Bisher wurde das GLM als Rehabilitationsmodell oft bei Sexualstraftäterinnen und Sexualstraftätern oder hinsichtlich seiner grundlegenden Annahmen empirisch untersucht.2 Obwohl das GLM ursprünglich als Rehabilitationsmodell für Erwachsene entwickelt wurde, wird angenommen, dass die theoretischen Grundlagen auch bei Jugendlichen angewendet werden können.3 Dies ist allerdings nicht gänzlich unproblematisch, da hierfür kaum substantiierte Grundlagen existieren.4 Dennoch, oder auch gerade deswegen, liess sich in den letzten Jahren eine vermehrte Anwendung des GLM im Bereich von Jugendlichen
wahrnehmen.5
Bei Jugendlichen weichen die Bedürfnisse, Überlegungen und Herausforderungen in einer Behandlung von diesen Erwachsener ab. Jugendliche sind ausserdem für einen überproportionalen Teil der Kriminalität verantwortlich und viele werden später rückfällig. Die Erforschung vom GLM im Bereich der Resozialisierung von Jugendlichen scheint deshalb zeitgemäss und sinnvoll.6
Mit Hilfe der Methode der Meta-Analyse will diese Studie die folgenden Fragen beantworten: Wie wird das GLM-Modell in der Behandlung von jugendlichen Straftäterinnen und Straftäter in der Rehabilitation und Resozialisierung umgesetzt? Wie hat das GLM hinsichtlich der Resozialisierung den Straftäterinnen und Straftäter geholfen?
Die Umsetzung des GLM in der Rehabilitation und Resozialisierung interessiert besonders, da das GLM als umfassendes Rehabilitationsmodell entwickelt wurde. Die Umsetzung des GLM im Prozess der Rehabilitation bzw. der Resozialisierung ist deswegen zentral, um die Wirkung des Modells zu überprüfen. Das Modell strebt eine Verbesserung des Lebens von Straftäterinnen und Straftätern an, und bietet damit einen ergänzenden Ansatz zum Risk-Need-Responsivity-Modell (RNR-Modell).7 Ein Fokus auf die Rehabilitation und Resozialisierung erscheint deshalb sinnvoll.
Gerade in der prägenden Lebensphase des Kindes- und Jugendalters können psychosoziale Lebensumstände das Risiko für sogenanntes abweichendes Verhalten und Straftaten begünstigen. Die Veröffentlichung der jährlich erscheinenden Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) als Datengrundlage soll demzufolge Aufklärung und Transparenz für die Häufigkeit aufgedeckter Straftaten im Kindes- und Jugendalter hervorbringen. Wie so oft wird in gesellschaftlichen sowie politischen Debatten auf diesem Fundament von sogenannten kriminellen Karrieren gesprochen, die es insbesondere im Kindes- und Jugendalter zu verhindern gilt. Dabei kann zunächst schon in der Begrifflichkeit „kriminelle Karriere“ die Annahme verborgen sein, dass es sich dabei um eine Entscheidung handelt, die Kinder, Jugendliche und Heranwachsende individuell, gar auf freiwilliger Basis, getroffen haben. Präventions- und Schutzmaßnahmen zur Verhinderung von (erneuten) Straftaten und der damit einhergehenden Sorge um die Entwicklung sogenannter Intensivstraftäterschaften führt zu der Perspektive, dass Kindern und Jugendlichen „die Kurve kriegen“ müssen. Der vorliegende Beitrag versucht eine verhältnisorientierte und keine verhaltensorientierte Sichtweise zu vertiefen. Dahingehend sollen zusätzlich Folgen in der Begrifflichkeit „kriminelle Karrieren“ im Kindes- und Jugendalter mit einbezogen werden.
Das DFG-Projekt „Freundschaft und Gewalt im Jugendalter“ (FuGJ) erfasste zwischen 2013 und 2016 die Gewalterfahrungen und -einstellungen von über 4.000 Schülerinnen in den Städten Gelsenkirchen, Herten, Marl, Recklinghausen und Gladbeck. Vor dem Hintergrund des postpandemischen Anstiegs der Kinder- und Jugendkriminalität in den polizeilichen Kriminalstatistiken wurde 2024, etwa zehn Jahre nach FuGJ, in Kooperation mit dem Innenministerium NRW die Querschnittsbefragung „Freundschaft und Gewalt im Jugendalter 2024" (FuGJ 2024) initiiert. Das Projekt untersucht das heutige Dunkelfeld der Jugendkriminalität und ermöglicht damit Analysen zu Veränderungen in den letzten zehn Jahren. Hierfür wurden zwischen September und Dezember 2024 ca. 4.000 Schülerinnen der siebten und neunten Klassen an den ursprünglichen Projektschulen in Gelsenkirchen, Herten und Marl befragt. Neben den bewährten Modulen zur Täter- und Opferschaft, sozialen Netzwerken im Jahrgang und sozialem Hintergrund wurden auch neue Fragen zu den Themenkomplexen Cyberkriminalität, Hate Crime und Social-Media-Nutzung integriert. Dadurch lassen sich u.a. Veränderungen im normativen Klima im 10-Jahres-Vergleich sowie der aktuelle Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber gewalthaltigen Inhalten in sozialen Medien und der Gewaltbereitschaft Jugendlicher untersuchen. Durch die Integration der zwei Jahrgänge können außerdem Vergleiche zwischen zwei Kohorten gezogen werden, die in unterschiedlichen Altersperioden von Schulschließungen durch die Corona-Pandemie betroffen waren. Der Vortrag stellt das Projekt und Forschungsdesign vor, gibt einen Überblick über die Feldphase und präsentiert die neu entwickelten Fragenmodule.
jährliches Mitglieder-Netzwerktreffen
Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung stellt ein zentrales gesellschaftliches Problem dar, das bereits im Jugendalter auftritt und unter anderem im schulischen Kontext schwerwiegende Auswirkungen haben kann. Vorurteile gegenüber homosexuellen Personen spielen dabei eine wesentliche Rolle und tragen sowohl zu individuellen als auch gesellschaftlichen Ausgrenzungsmechanismen bei. Diese Form der Diskriminierung verschärft psychische Belastungen wie Depressionen und beeinträchtigt sowohl das schulische Engagement als auch die Lernleistungen. Um effektive Gegenmaßnahmen zu entwickeln, ist es von entscheidender Bedeutung, die zugrunde liegenden Mechanismen dieser Diskriminierung zu verstehen und die Faktoren zu identifizieren, die zu ihrer Entstehung und Aufrechterhaltung beitragen.
Theoretisch stützt sich die Untersuchung auf die Social Identity Theory und die Developmental Intergroup Theory. Die Social Identity Theory erklärt, dass Vorurteile durch die Kategorisierung von Individuen in soziale Gruppen entstehen, wobei die Zugehörigkeit zu einer „Ingroup“ häufig zu Diskriminierung der „Outgroup“ führt. Diese Dynamik stärkt das Selbstwertgefühl und führt zur Festigung sozialer Normen innerhalb von Gruppen. Die Developmental Intergroup Theory ergänzt diese Perspektive, indem sie betont, dass soziale Kategorien und damit verbundene Normen bereits früh in der Jugend internalisiert werden und soziale Kontextfaktoren die Reproduktion diskriminierender Einstellungen beeinflussen und eventuell verstärken können.
Ausgehend von diesen Theorien, untersucht diese Studie mit Daten des Niedersachsensurveys aus dem Jahr 2022, inwiefern Vorurteile gegenüber Homosexuellen sowie gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen zur selbst berichteten homophoben Handlungen unter Schüler*innen beitragen. Hierfür wird eine Mehrebenenanlyse durchgeführt, die die Einflüsse dieser Variablen auf Individual- und auf Klassenebene genauer untersucht.
In contemporary criminology, there is a growing interest in the regulation of witchcraft and sorcery belief. This article examines how such beliefs are addressed in current legal systems and provides an overview of existing laws for dealing with these phenomena. The legal approach to such practices ranges from criminalising attempts to harm another person through witchcraft or sorcery to the introduction of specific anti-witchcraft laws, which are widespread in countries such as Papua New Guinea and South Africa. This article also deals with the defence of witchcraft and sorcery beliefs in court proceedings, especially when these beliefs can be taken into account as a mitigating factor in sentencing.
In this context, the role of witchcraft and sorcery beliefs in international criminal law is also discussed and examined using the example of the Ongwen case before the International Criminal Court. Dominic Ongwen, a former commander of the Lord's Resistance Army (LRA) in Uganda, stated that his actions were influenced by a deep-rooted belief in witchcraft and supernatural powers. This defence highlights the challenges that arise when cultural beliefs have to be integrated into international legal processes.
The article concludes by discussing complexities and cultural sensitivities involved in addressing witchcraft and sorcery beliefs within legal frameworks, emphasising the need for a nuanced approach that balances respect for cultural traditions with the principles of justice and human rights.
Können schulische Antidiskriminierungsmaßnahmen interethnische relationale Aggressionen reduzieren? Das Programm “Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage” (SOR-SMC) ist das größte schulische Netzwerk in Deutschland, das sich gegen Rassismus und Diskriminierung einsetzt. SOR-SMC setzt dabei auf die Mitwirkung der Schulgemeinschaft, um ein diskriminierungsfreies Umfeld zu schaffen. Dies geschieht durch Selbstverpflichtungen der Schulmitglieder, Projektarbeit in Workshops und Projekttagen, prominente Patenschaften sowie Netzwerktreffen mit anderen SOR-SMC-Schulen. Wir nutzen die einzigartige Gelegenheit, dass eine groß angelegte kriminologische Schulbefragung, das vierwellige Panel „Freundschaft und Gewalt im Jugendalter“ (n= 4892), welches 2013-2016 im Ruhrgebiet erhoben wurde, zeitlich mit der Einführung von SOR-SMC an einzelnen Schulen zusammengefallen ist. Der Vergleich teilnehmender und nicht-teilnehmender Schulen (ntreatment = 521, ncontrol = 4381) ermöglicht durch die zeitversetzende Einführung des Programms an den teilnehmenden Schulen ein gestaffeltes Differenz-von-Differenzen-Design. Die detaillierte Erfassung der ethnischen Herkunft der Schülerinnen und die differenzierte Erhebung von positiven und negativen Beziehungen im Jahrgang erlaubt so die Identifizierung des Average Treatment Effect on the Treated (ATT). Die abhängigen Variablen bilden dabei Maßzahlen interethnischer Heterophilie bzw. Homophilie in Bezug auf psychische und physische Aggression. Das Design ermöglicht die Untersuchung des Effekts exogener Variation des Schulkontexts auf interethnische Gewaltnetzwerke. Erste Ergebnisse auf Basis von indegee ties (Nominierungen der Befragten durch Mitschülerinnen im Jahrgang) legen nahe, dass SOR-SMC die Tendenz, Mitschüler*innen anderer ethnisch Herkunft zu ärgern oder zu beleidigen, reduziert, während sich ebenfalls ein zeitversetzter, deutlich schwächerer und weniger robuster Effekt auf interethnische Heterophilie in Gewaltnetzwerken zeigt. Der Vortrag diskutiert auch die methodischen Herausforderungen von quasi-experimentellen Kausalanalysen auf Basis deskriptiver Netzwerkmaße.
Die Schnittstellen zwischen digitalen Technologien und der kriminologischen Forschung eröffnen neue Möglichkeiten, Kriminalität und ihre räumliche Dynamik zu verstehen. Die Kommunikation über Kriminalität und die Orte, an denen sie stattfindet, wird zunehmend durch digitale Technologien geprägt (Stratton et al., 2017), wobei die Verbreitung digitaler Medien die Art und Weise verändert hat, „[…] how crime is organized, perpetrated, experienced, represented, detected and controlled“ (Smith et al., 2017). Die umfassende Nutzung von Technologien im Alltag sowohl durch Institutionen als auch durch Einzelpersonen erzeugt dabei immense Datenmengen, die soziale Handlungen, Ereignisse und Erfahrungen vermitteln (Smith et al., 2017). Vor dem Hintergrund des Ansatzes der territorial stigmatization – verstanden als Prozesse, bei denen Orte durch externe Handlungen und Darstellungen symbolisch abgewertet werden (Schwarze, 2023) – stellen Social Media-Beiträge daher eine neue Datenquelle für die Forschung zur Verräumlichung von Kriminalität und Unordnung dar (Kattenberg, 2023).
Ausgehend von diesen Potenzialen untersucht der Beitrag anhand von Social Media-Analysen (Social Listening) in der Landeshauptstadt Düsseldorf die sozialräumliche Stigmatisierung des diversitätsgeprägten Stadtteils Oberbilk und des kriminogenen Worringer Platzes. Neben allgemeinen Erkenntnissen zu territorialen Stigamtisierungsprozessen der beiden Stadträume, sollen insbesondere die Entwicklungen und Diskurse im Spannungsfeld von Kriminalität, Unordnung und behördlicher Arbeit dargestellt werden. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Untersuchung, wie (über)regionale Social Media-Beiträge und Nachrichtenberichte die Wahrnehmung und Arbeit von Polizei und kommunalen Ordnungskräften beeinflussen – und wie diese Akteur:innen selbst zur Reproduktion räumlicher Stigmatisierungen beitragen. Untersuchungsgrundlage ist die Triangulation von Workshops (n=2), leitfadengestützten Expert:innen-Interviews (n=15) und systematischen Auswertungen sozialer Medien mittels des Social Listening-Tools Talkwalker.
Die Schutzaltersgrenzen im Sexualstrafrecht sind ein vielseitig diskutiertes und medial wie politisches Thema. Sie sind historisch gewachsen und erfuhren in der Vergangenheit immer wieder kleinere Verschiebungen – wie zuletzt durch das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 16. Juni 2021 (BGBl. I S. 1810) – erfahren. Die politischen Debatten zeugen dabei vor allem von anekdotischer Evidenz und passieren unter dem Eindruck einer empörten Öffentlichkeit. Die rechtswissenschaftliche Debatte demgegenüber ist auf eine dogmatische Sichtweise beschränkt und lässt interdisziplinäre Ansätze vermissen. Der Beitrag möchte einen Überblick über die aktuellsten Erkenntnisse aus der Psychologie geben, empirische Befunde zum Alter der Opfer auswerten und diese dann aus diesem interdisziplinären Ansatz heraus dogmatisch einbetten. Dazu ist ein historischer Blick auf die verschiedenen Schutzaltersgrenzen und die jeweilige Entwicklung der Opferzahlen notwendig; auch die psychologische Bewertung hat eine entsprechende Dynamik erfahren, die es nachzuzeichnen gilt. Am Ende steht eine Einschätzung der derzeitigen Schutzaltersgrenzen im Lichte der verschiedenen Disziplinen.
Da die Adoleszenz unter anderem durch die Exploration der eigenen Sexualität sowie eine zunehmende Interaktion mittels digitaler Medien gekennzeichnet ist, ist Cybergrooming-Viktimisierung zu einer bedeutsamen Herausforderung für den Schutz und die Entwicklung junger Menschen geworden. Es mangelt jedoch an systematischen Analysen des aktuellen Forschungsstandes. Daher zielte das hier vorgestellte systematische Review darauf ab, bestehende quantitative Forschungsarbeiten zu Prävalenzraten, Risikofaktoren und Folgen von Cybergrooming-Viktimisierung, angelehnt an eine Adaption des General Aggression Models, zu integrieren. Es wurden Studien mit Selbstberichtsdaten über reale Erfahrungen mit Cybergrooming-Viktimisierung von Personen im Alter zwischen 5 und 21 Jahren eingeschlossen. Insgesamt erfüllten 34 Studien alle Einschlusskriterien, wobei die meisten auf die Adoleszenz fokussierten. Die berichteten Prävalenzraten waren durch eine starke Heterogenität gekennzeichnet, was überwiegend auf die jeweils zugrunde liegende Methodik zurückgeführt werden konnte. Insgesamt wiesen die eingeschlossenen Studien darauf hin, dass mindestens einer von zehn jungen Menschen von Cybergrooming-Viktimisierung betroffen ist. Des Weiteren zeigten die Ergebnisse, dass diverse Faktoren positiv mit Cybergrooming Viktimisierung assoziiert sind. Dazu zählten beispielsweise weiblich und älter zu sein, ein risikoreiches Verhalten, eine problematische Internetnutzung, ein geringeres psychisches Wohlbefinden sowie Erfahrungen mit anderen Viktimisierungsarten. Aufgrund des querschnittlichen Designs der meisten Studien konnte keine evidenzbasierte Klassifikation in Risikofaktoren und Folgen vorgenommen werden, sodass die Ergebnisse auf Grundlage theoretischer Überlegungen in das vorgeschlagene Modell eingebettet wurden. Die Ergebnisse unterstreichen, dass Cybergrooming-Viktimisierung ein weit verbreitetes Phänomen unter jungen Menschen ist, das Prävention und Opferhilfe in mehreren Bereichen erfordert.
Laut PKS werden rund 10% alle angezeigten Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern begangen und rund 20 % von Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren. Kinder und Jugendliche, die dabei sind, ihre eigene Sexualität zu finden und dabei übergriffig geworden sind. Hier präventiv anzusetzen, wäre eine sehr gute Möglichkeit, die Zahl der Missbrauchsdelikte zu reduzieren. Kinder, die von klein an gelernt haben, dass nur sie über ihren Körper entscheiden und keine unerwünschten Berührungen zulassen müssen, werden auch eher ein Nein anderer Kinder akzeptieren.
Zu den Fragen, wer konkret die Betroffenen sind, wer die Tatverdächtigen, wann wo wie und zu welchen Zeiten die Taten stattfinden, wer die Anzeigenerstatter sind, , besteht noch erheblicher Forschungsbedarf.
Ein besonderes Problem stellen Elternteile dar, die Verdachtsmomente gegen den anderen Elternteil melden oder anzeigen. In aller Regel müssen die Verfahren mangels Beweisen eingestellt werden, und hieraus wird fälschlich gefolgert, dass sie den anderen Elternteil falsch verdächtigt hatten. Nicht selten wird dies zu einer "Bindungsintoleranz" oder "Eltern-Kind-Entfremdung" umdefiniert und ihnen droht sogar der Verlust der elterlichen Sorge - obwohl sie nach § 171 StGB aus ihrer Fürsorgepflicht heraus hierzu sogar verpflichtet sind. Das Familienrecht scheint das Strafrecht und das Recht der Gefahrenabwehr nicht selten zu unterlaufen. Oft gibt es für die Beschuldigten sogar Umgänge mit ihren Kindern, während die Ermittlungen gegen sie noch nicht abgeschlossen sind. In dem Vortrag wird auf diese und weitere Problem Felder wie der Auswirkungen der so genannten Nullhypothese auf den Opferschutz und zu oft ungenutzten Ressourcen wie Childhood Häuser und psychosoziale Prozessbegleitung eingegangen.
Seit 01.01.2017 besteht eine gesetzliche Regelung der Psychosozialen Prozessbegleitung in § 406g StPO mit eigenen Qualifikationsanforderungen nach dem PsychPbG und genaueren Präzisierungen in den Ausführungsgesetzen und -verordnungen der Länder. In einem Forschungsprojekt wurden die seit 01.01.2017 ergangenen Gerichtsentscheidungen unter einer Beteiligung der Psychosozialen Prozessbegleitung, die am 31.05.2022 in der Juris-Datenbank oder der Beck-online-Datenbank verfügbar waren sowie Folgeentscheidungen bis zum 31.12.2022 einer viktimologischen und rechtswissenschaftlichen Analyse mit unterschiedlichen Fragestellungen unterzogen.
Der vorliegende Beitrag stellt die Ergebnisse der viktimologischen Untersuchung zu zwei Strafverfahren mit kindlichen Opfern des sexuellen Missbrauchs vor. Dabei werden Viktimisierungspotentiale des Strafverfahrens an den konkreten Entscheidungen aufgezeigt. Zudem wird hinterfragt, inwieweit bereits bei Kindern, Vergewaltigungsstereotypen und -mythen im familiären Kreis, aber auch im Strafverfahren angewendet werden und welche Bedeutung das für die Kinder hat. Im Anschluss werden die Möglichkeiten der Vermeidung und Entlastung (bei unvermeidbaren Viktimisierungen) von Kindern, die Opferzeug*innen eines Strafverfahrens sind, durch die Psychosoziale Prozessbegleitung diskutiert.