Sprecher
Beschreibung
In den letzten Jahr(zehnt)en wurden vermehrt Ansätze auf Schulebene initiiert, die auf eine Förderung von Chancengerechtigkeit abzielen. Der Vortrag nimmt mit dem Schulversuch PRIMUS einen schulstrukturellen Ansatz in den Blick, der an fünf Langformschulen von Klasse eins bis zehn Primar- und Sekundarstufe zusammenführt. Durch den Wegfall des früheren Übergangs nach Klasse vier sollen unterschiedliche Herkunftseffekte reduziert werden, die Schüler:innen an der Entfaltung ihrer Stärken hindern können. Dabei halten die PRIMUS-Schulen bis zum Abschluss alle Bildungsgänge offen. In jahrgangsgemischten Lerngruppen kommen individualisierte Lernformen zum Einsatz, wobei die Schüler:innen Verantwortung für ihren persönlichen Lernprozess übernehmen, indem sie priorisieren und Zeitpläne entlang anstehender Abgaben strukturieren (Doǧmuş et al. 2022).
Basierend auf qualitativen, bildungsbiografischen Interviews widmet sich der Beitrag den Erfahrungen von Absolvent:innen der PRIMUS-Schulen und rekonstruiert aus ihrer Perspektive, wie es während ihrer Schulzeit Phasen gab, in denen sie die Schule nicht ernst nahmen und keine guten Leistungen erbrachten, wie sie im Bildungsverlauf jedoch eine Veränderung durchliefen und nun ihren Abschluss erfolgreich absolvieren.
Während für die Schüler:innen das individualisierte Lernen und die Offenheit der Abschlüsse mit einer Verantwortungsübernahme für den eigenen schulischen Erfolg einher gehen, sehen sie sich gleichzeitig mitverantwortlich dafür, dass ihre Peers diese Verantwortung ebenso für sich annehmen. Diese Verantwortungsübernahme präsentieren sie als kollektive Erfahrung. Mit Massumi (2015) lassen sich die Schüler:innen als von der Idee der PRIMUS-Schule affiziert charakterisieren, alle Möglichkeiten offen zu halten und dadurch Bildungsdisparitäten zu reduzieren. Die Analyse der Interviews (Charmaz 2014) illustriert beispielhaft an Erfahrungen von Schüler:innen des PRIMUS-Schulversuchs, wie längeres gemeinsames Lernen zur Potentialentfaltung und Förderung der Schüler:innen beitragen kann.
Doǧmuş, A./Huf, C./Idel, T.-S. (2022). Jahrgangsmischung als Irritation des Zeitregimes der Jahrgangsklasse? Lernbiographische Erfahrungen von Schüler*innen eines Schulversuchs. Zeitschrift für interpretative Schul- und Unterrichtsforschung 11, 142-156.
Charmaz, K. (2014). Constructing grounded theory. Los Angeles u.a: SAGE.
Massumi, B. (2015). Politics of Affect. Cambridge: polity.
Schlagworte/Keywords
Schulstrukturreform, Langformschule, Schulversuch, längeres gemeinsames Lernen, Perspektive von Schüler:innen
Personenbeschreibung/Bio-Note
Farina Böttjer, Dr., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Münster und der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Mitarbeit in der wissenschaftlichen Begleitungforschung zum Schulversuchs PRIMUS. Forschungsschwerpunkte: soziale Ungleichheit im Bildungssystem, Lernbiografien aus Perspektive von Schüler:innen, Mehrsprachigkeit in der Schule, ethnografische Schulforschung.
Schulstufe - Zielgruppe / Educational Stage - Target group
Primar- und Sekundarstufe